Zersetzung der Genreerwartungen als die Fahne des Postmodernismus: Eine Fallstudie der Kurzgeschichte, Rosalie geht sterben

Sehr geehrte Damen und Herren,

Guten Tag.

Der Titel meines Vortrages ist „Zersetzung der Genreerwartungen als die Fahne des Postmodernismus: eine Fallstudie der Kurzgeschichte, Rosalie geht sterben“. Innerhalb meines Titels ist der Terminus, Postmodernismus, möglich am furchtbarsten. Aber es ist unglücklicherweise der Terminus, wovon mein Vortrag handelt.ù

Es macht schwer, dieses Konzept allein durch einen Theorietext zu verstehen. Deshalb probiere ich eine andere Annäherungsmethode: Zuerst suche ich ein Literaturwerk, das zu der postmodernen Literatur gehört. Sodann suche ich die hervorragenden Eigenschaften aus diesem Literaturwerk, die von den anderen von mir gelesenen Literaturwerken unterscheiden. Daher fand ich eine Kurzgeschichte, namens Rosalie geht sterben, aus dem deutschen Roman, Daniel Kehlmanns Ruhm.

Daniel Kehlmann, ein deutscher Schriftsteller 1975 geboren, gewinnt seinen Weltruhm mithilfe seines bekanntesten Romans, die Vermessung der Welt. Aber heute besprechen wir über eine seiner Kurzgeschichten, Rosalie geht sterben, aus seinem späteren Roman, Ruhm. Dieser Roman besteht sich aus neun überlappenden Geschichten mit ihren jeweiligen Hauptfiguren und Handlungen. Aber sie sind gleichzeitig auf geschickte Weise miteinander verknüpft. Zum Beispiel ist der Autor dieser Kurzgeschichte, Leo Richter, gleichzeitig die Hauptfigur einer vorigen Kurzgeschichte im Roman.

Diese Kurzgeschichte bezieht sich auf eine alte Frau, Rosalie, die durch Sterbehilfe ihr Leben zum Ende bringen will. Der ganze Prozess, dass Rosalie aus Deutschland nach Schweiz, wo das Sterbehilfeinstitut ist, fährt, und ihre innerlichen Bewegungen während ihrer Reise werden detailliert geschildert.

Mithilfe meiner Analyse dieser Kurzgeschichte entdecke ich, dass die postmoderne Literatur immer diese Genreerwartungen zersetzen, also die Fahne des Postmodernismus. Aber was sind die Genreerwartungen? Wenn wir ein bestimmtes Mediengenre (nicht nur Literatur) konsumieren, erwarten wir als Medienkonsumenten schon seit dem Begin des Medienkonsums (z.B. lesen oder ansehen) beispielweise die folgenden Handlungen, die Geschichtenstrukturen oder die Geschichtenmoralen.

Am Beginn dieser Kurzgeschichte wird Rosalie als eine sehr gelassene Frau beschrieben. Sie werde nichts beeinflusst, wenn ihr Arzt sie über ihren Pankreaskrebs informiert. Nach mühsamen Schilderung ihrer gelassenen Persönlichkeit am Beginn dieser Kurzgeschichte erwarten die Leser, dass diese gelassene Persönlichkeit zum Ende beigebehaltet werden wird. Ein paar psychologische Fluktuationen sogar mit einem totalen Nervenzusammenbruch in den folgenden Handlungen sind auch akzeptabel, d.h. innerhalb der Erwartungen der Leser. Aber wichtig ist es, dass ihre Gelassenheit am Ende zu ihr zurückkehren muss. Andernfalls machen die vorigen Charakterbildungen gar keinen Sinn.

Aber die postmoderne Literatur zielt nicht darauf, einen Charakter aufzubauen, sondern zu zersetzen, weil die Erwartung der vollständigen Charakterbildungen zu einer Form der Genreerwartungen gehört. Dann ist es nicht unvorhersehbar, dass Rosalie am Ende ihre gelassen Persönlichkeit umkehrt, und verzweifelt ihren Entwerfer, Richter droht, „Sie können mich noch retten. Sie können mich wieder jung machen. Sie machen es mühelos.“ Durch diese Drohung legt der Charakter, den der Autor am Beginn dieser Kurzgeschichte mühsam aufgebaut hat, plötzlich zugrunde. In diesem Punkt sind die Genreerwartungen des Charakters zerschellt. Kehlmann macht die Genreerwartungen zu einem Gespött.

Bisher haben Sie vielleicht schon lange gezweifelt, wäre der Autor dieser Kurzgeschichte nicht Richter, sondern in der Tat Kehlmann? Ganz am Anfang schreibt der Autor, „[i]nnerhalb aller von mir erdichten Charaktere ist Rosalie die klügste“. Dessen Leser weiß keinesfalls, dass der Erzähler Richter ist, statt Kehlmann, weil es nicht ungewöhnlich ist, dass der Autor am Anfang durch Ich-Erzählung die Geschichte einleitet, z.B. Friedrich Schillers der Verbrecher aus verlorener Ehe. Ich könnte sogar erraten, dass die meisten Leser aufgrund ihrer Genreerwartungen annehmen müssten, dass der Erzähler Kehlmann ist.

Bemerkenswert kann Rosalie in der Geschichte mit ihrem Autor sprechen, und ihn darum bitten, dass er sie aus ihrem Schicksal des Selbstmords entlässt. Wenn der Autor sich entschuldigt, dass er nicht imstande ist, ihr zu helfen, sagt Rosalie, „[w]arum bist du nicht imstande, es ist deine Geschichte“. Plötzlich sind die Leser verwirrt, wer eigentlich die Kurzgeschichte schreibt, da diese Autorposition, dass der Autor und sein Charakter miteinander in der Geschichte diskutieren kann, fast unerhört ist, also außerhalb der Genreerwartungen der Leser.

Nach einem langen Monolog zieht der Autor eine Folge, er weiße gewiss, wie seine Geschichte enden werde. Er fragt, „[j]etzt nun, was soll ich tun?“ Aber kurz danach verkündet er, „[n]un, ich zerstöre meine Denounment. Ich mache den Vorhang auf, ich will in der Geschichte erscheinen […]“. Fortan tritt der Autor einfach in die Geschichte ein, und macht Rosalie jung wie sie gewünscht hat.

Was für eine Geschichte ist es? Diese Kurzgeschichte macht doch kein Sinn! Was ist die wirkliche Persönlichkeit Rosalies? Wo positioniert der wirkliche Autor Kehlmann in der Geschichte?

Jedoch ist diese Verwirrung das Ziel der postmodernen Literatur. Sie fragt an, warum die vorherige Literatur so viele von Menschen selbst erfunden Regeln und Einschränkungen, die durch ihre unzähligen Wiederholungen in verschiedenen Literaturwerken die Genreerwartungen der Leser entstehen, zu sich zieht? Wie sieht die Literatur aus, wenn sie sich außerhalb dieser Regeln und Einschränkungen befindet? Oder, Funktionieren Geschichten, wenn der Autor absichtlich diese Regeln und Einschränkungen zersetzt? Wie reagieren die Leser auf die zersetzten Geschichten anders als auf ihre gewöhnlichen?

Immanuel Kant diktiert, die Aufklärung sei der Ausgang aus der von Menschen selbst verschuldeten Unmündigkeit. In seiner Zeit schränkten vor allem die Religionsgedanken den menschlichen Verstand ein. Ähnlicherweise stellt diese Kurzgeschichte eine andere würdige Frage: Welche Regeln und Einschränkungen der Literatur mit ihren entsprechenden Genreerwartungen schränken heutzutage die menschliche Kreativität ein.

Vielen Dank.

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